Erziehungsgrundsatz Gewaltfreiheit Schule ist kein Rekrutierungsfeld für die Bundeswehr

Veröffentlicht auf von DGB Kultur Arbeitskreis

Erziehungsgrundsatz Gewaltfreiheit Schule ist kein Rekrutierungsfeld für die Bundeswehr
Pfad zur Seite:/ GEW - Die Bildungsgewerkschaft   - / GEW-Webservices   - / Download   - / Zeitschriften   - / E&W   -   Erziehungsgrundsatz: Gewaltfreiheit Demmer
Die Krisen im vorigen Jahrhundert waren wesentlich von der Systemausei­nandersetzung zwischen den westlichen kapitalistischen Demokratien und dem sozialistischen Ostblock geprägt. Die Bundeswehr war als Verteidigungsarmee innerhalb der deutschen Grenzen als vorgeschobener Brückenkopf des NATO-Bündnisses konzipiert. Auslandseinsätze waren nicht vorgesehen. Auch wenn nicht alle Deutschen Pazi­fisten waren, eine Überzeugung einte nach den Erfahrungen zweier Weltkriege die ganz große Mehrheit: Nie wieder Krieg!

Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen. Im Zuge der Entspannungspolitik verloren die Bedrohungsängste »vor dem Kommunismus« an Bedeutung. Das im Grundgesetz verankerte Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurde zu einem selbstverständlichen und häufig in Anspruch genommenen Bürgerrecht.

Nachdem die Systemauseinandersetzung zugunsten des kapitalistischen Westens erst einmal entschieden war und manche sich schon am »Ende der Geschichte« wähnten, wurde schnell klar, dass die Versorgung mit Energie und Rohstoffen sowie die Sicherung einer »grenzenlosen« Marktfreiheit zu den zentralen Krisenherden der Jahrtausendwende würden.

Die Selbstmord-Attentate der Terrororganisation Al-Qaida vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Center in New York und das Pentagon in Washington wurden der vorgebliche Auslöser zum Krieg der USA in Afghanistan und Irak. Seither gerät Deutschland zunehmend unter Druck, sich im Rahmen der NATO bzw. von UNO-Einsätzen verstärkt auch im Ausland zu engagieren. Dies bringt den Umbau von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee und von einer Wehrpflichtigen- zu einer Freiwilligenarmee mit sich. Da die USA als selbst ernannter »Weltpolizist« ökonomisch offenbar zunehmend an ihre Grenzen stoßen, soll die Europäische Union, und da vor allem das ökonomisch starke Deutschland, diese Funktion insbesondere rund um das Mittelmeer übernehmen. In dem Maße, wie sich Deutschland he­raushält, wächst der internationale Druck, während in der Bundesrepublik noch gar nicht richtig verstanden wird, worum es eigentlich geht. 
Eine Freiwilligenarmee als Interventionsarmee braucht Freiwillige – und zwar gut ausgebildete, die in der Lage sind, physisch, psychisch, mental und intellektuell die Herausforderungen eines Einsatzes in fremden Kulturen und ungewohntem Klima zu überstehen. Aber ausgerechnet unsere Abiturienten bildeten in der Vergangenheit die Spitze der Kriegsdienstverweigerer und dürften auch heute – nach Außerkraftsetzen der Wehrpflicht – nicht freiwillig in die Offizierslaufbahn drängen. Die Bundeswehr hat mit ihrer neuen Strategie ein ernsthaftes Problem, die passenden Menschen zu finden, diese umzusetzen. 

Damit kommt die Schule verstärkt ins Spiel als der Ort, an dem jungen Männern und mittlerweile auch jungen Frauen die »Karriere in der Bundeswehr« schmackhaft gemacht werden soll. Denn das Nachwuchsproblem der Bundeswehr wird wohl weder durch die geplante Freiwilligenarmee noch die Charme-Offensive auf YouTube, in Film, Funk und Fernsehen zu lösen sein. Nicht einmal die geplanten individuellen Berufsausbildungskonzepte für junge Leute mit niedrigem oder ohne Schulabschluss dürften dazu in der Lage sein. Wer begibt sich schon in Zeiten steigenden Fachkräftemangels in ein Berufsfeld, in dem die Chancen auf frühe Invalidität oder gar Tod um ein Vielfaches höher sind als im zivilen Leben.

Offenbar unzufrieden mit der Nachfrage aus Schulen – Jugendoffiziere dürfen nur kommen, wenn sie eingeladen werden – haben seit 2008 die Kultusminis­ter von mittlerweile acht Bundesländern so genannte Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr abgeschlossen – und zwar parteiunabhängig. Mit den Vereinbarungen sollen die Akzeptanz für die schulischen Aktivitäten der Jugendoffiziere verbessert und im Unterschied zur bisherigen Praxis auch die Lehrerausbildung als Betätigungsfeld eröffnet werden. Dies ist jedoch nicht akzeptabel. Nach Protesten der GEW hat das Saarland die Tätigkeit von Jugendoffizieren in Studienseminaren für angehende Lehrer gestoppt. 

Je offensiver die Bundeswehr aber für sich und ihre sicherheitspolitische Strategie wirbt, desto aufmerksamer wird eine kritische Öffentlichkeit. Der Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat im März 2010 einen Beschluss gefasst, in dem er mit Nachdruck feststellt: Lehrkräfte »erziehen ihre Schülerinnen und Schüler zu demokratischem Handeln, Kritikfähigkeit, Gewaltfreiheit und Toleranz und beteiligen sie an allen wichtigen Entscheidungen der inhaltlichen und methodischen Gestaltung des Lernens. Die politische Bildung – auch in Fragen der Sicherheitspolitik – gehört in die Hand der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachleute und nicht in die von Jugendoffizieren«. Und: »Friedensorganisationen und Friedensinitiativen sind die gleichen Möglichkeiten wie der Bundeswehr einzuräumen, ihre Konzepte zu erläutern.« Die GEW fasst jedoch nicht nur Beschlüsse. Sie präsentiert Informationen im Internet, unterstützt friedenspädagogische Aktivitäten und plant für den Herbst 2011 eine Informationsbroschüre für Schulen. Dort, wo Sozialdemokraten oder Bündnis 90 / Die Grünen an Regierungen beteiligt sind, dringt die GEW mit einigem Erfolg darauf, Friedensinitiativen den gleichberechtigten Zugang zu Schulen zu sichern. Allerdings zeigt sich dabei deutlich das Ungleichgewicht zwischen Bundeswehr und Friedensbewegung.

Erstere ist bestens ausgestattet und aus Steuermitteln finanziert, arbeitet mit rhetorisch geschultem hauptamtlichem Personal, zweitere ist ehrenamtlich tätig und auf private Spenden angewiesen. 

Doch es kann nicht nur die Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, gewaltfreie Sicherheitskonzepte zu entwickeln und zu finanzieren. Die fehlende Nachhaltigkeit militärischer Interventionspolitik, ihre hohen zivilen und militärischen Opfer sowie ihr äußerst schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis sollten Anlass genug auch für die Parlamente sein, praktikable Konzepte ziviler Sicherheitspolitik in großem Stil zu entwickeln und die Arbeit von Friedens­initiativen großzügig finanziell zu unterstützen. Der Ausstieg aus der militärischen und der Umstieg zu einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Sicherheitspolitik stehen als gesellschaftliches Projekt auf der politischen Agenda!

Marianne Demmer
Leiterin des GEW-Organisationsbereichs Schule

Veröffentlicht in GEW

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post